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Pandemie Tagebuch – Die Auswirkung von Covid-19 auf meine Forschung
Für diesen Blogeintrag dachte ich mir mal ich könnte den Erzählstil etwas verändern, um so das Jahr und die Auswirkung, die es auf meine Arbeit und mein Leben hatte, zusammen zu fassen. Das sind noch nie da gewesene Zeiten und daher könnte dieser Eintrag in ein paar Jahren für manche von Interesse sein. In diesen sich rasch verändernden Zeiten verschwimmen einzelne Erinnerungen und Erfahrungen nur allzu schnell und selbst jetzt fällt es mir schwer mich an Ereignisse im März zu erinnern.
- Februar 2020 – Ich sitze in der ersten Reihe im Opernhaus in Leeds. Die Oper ist voll bepackt und fast jeder Sitz ist besetzt. Ich hätte diesen Abend mehr wertschätzen sollen hätte ich gewusst, das das meine letzte Großveranstaltung für dieses Jahr sein wird. Covid-19 war etwas was anderswo ein Problem ist aber (noch) nicht in England.
- März 2020 – Ich sitze in einem Meeting zur Vorbereitung des BeCurious Public Outreach Event, welches zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgesagt wurde und unklar war, was genau passieren würde. Andere Länder befanden sich bereits in Lockdown und ich erwartete die Ankündigung für England täglich.
- März 2020 – Habe mich dazu entschlossen zuhause zu bleiben, da es mir an dem Tag nicht so gut ging. Ich hatte zwar nicht die klassischen Covid-19 Symptome, aber zu diesem Zeitpunkt wusste noch keiner so genau wie die volle Liste aussehen würde. Ich habe meinen Chef informiert und die Studenten, die ich zu dem Zeitpunkt beaufsichtig habe, gebeten daheim zu bleiben und niemanden zu treffen falls es doch etwas ernsteres war.
- März 2020 – Offizieller Start des Lockdowns im Vereinigten Königreich. Erste Schätzungen wann dieser Enden würden variierten von Ende April bis Ende Juni, was meine persönliche Schätzung war da ich doch etwas skeptischer bin. Lebensmittellieferungen nach Hause waren auf Wochen ausgebucht aber glücklicherweise konnte ich mich mit HelloFresh Boxen ein paar Wochen über Wasser halten.
- März 2020 – Immer wieder habe ich versucht in der Innenstadt einkaufen zu gehen, aber die Geschäfte die ich vor dem Lockdown besucht habe waren alle überrannt mit meterlangen Warteschlangen. Leider haben sich auch nicht alle an den Mindestabstand gehalten was mir unangenehm war. In dieser Situation kommt mein regeltreues deutsches Ich zum Vorschein, welches ein härteres Eingreifen vom Marktpersonal erwartet hätte, aber England ist bekannt für seine laxe Herangehensweise mit Regelverstößen.
- April 2020 – Begann eine Masterstudentin zu betreuen, welche für die nächsten sechs Monate an unserem Projekt arbeiten würde. Alles musste von zuhause aus gemacht werden und leider sind meine Bioinformatikkenntnisse nicht die besten. Ich hatte die starke Hoffnung, das man vor Ende der sechs Monate zurück ins Labor konnte.
- April 2020 – Unser Chef hat sich dazu entschlossen wöchentliche Meetings mit jedem durchzuführen, um zu sehen wie es einem ging und wie man so vorankommt. Zu meiner Studentenzeit bin ich zum Arbeiten immer in die Bücherei gegangen da mich mein eigenes Zuhause immer zu stark abgelenkt hat. Meine Motivation sank stark nach jedem dieser Meetings und wurde wieder besser kurz vor dem nächsten Meeting. Ich bin definitiv eine sehr physische Person was meine Arbeit angeht und ich liebe es im Labor herumzuspringen. Das ich das nicht mehr konnte hat meine geistige Gesundheit sehr beeinflusst weil ich dachte das ich zuhause nichts zustande bekommen würde.
- Mai 2020 – Unser jährliches ViBrANT Meeting steht an, jedoch mussten wir es dieses Jahr online abhalten. Alle mussten sich noch daran gewöhnen wie man Präsentationen online abhält. Es ist ein komisches Gefühl wenn man nicht sieht für wen man gerade diese Präsentation hält und sozusagen nur mit seinem Bildschirm spricht. Wenigstens konnte ich meine ESR Kollegen wiedersehen.
- Mai 2020 – Die Zusagen der EU bezüglich mögliche Förderverlängerung bleiben sehr neutral. Glücklicherweise konnte man mich in das Furlough System integrieren, sodass ich zumindest keine Zeit in meinem PhD verliere. Leider hat das Vereinigte Königreich nicht das Kurzarbeit System wie wir in Deutschland welches mir erlauben würde zumindest Teilzeit arbeiten zu können. So bin ich dazu gezwungen keine Arbeit zu verrichten und nur Trainingskurse abzuhalten.
- Juni 2020 – Neue Termine zur Rückkehr ins Labor wurden als Gerüchte verbreitet. Ein mögliches Datum welches mein sarkastisches Ich im Kopf hatte war Anfang September, welches sich am Ende als sehr nah an der Wahrheit herausstellen wird. Eine gewisse Routine hat sich in mein Leben eingeschlichen und die kleinen Dinge des Lebens stehen nun im Vordergrund.
- Juni 2020 – Mein Geburtstag dieses Jahr konnte ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht mit meiner Familie und Freunde in Deutschland feiern. Es wäre möglich gewesen zurück zu gehen, aber die Unsicherheit über Reiseeinschränkungen und evtl. Ansteckungsgefahren waren mir zu hoch.
Über die nächsten Wochen hinweg habe ich versucht das beste aus meiner Situation zu machen. Allerdings hat meine mentale Gesundheit stark unter der Laborabwesenheit gelitten. Manchmal fühlte sich jeder Tag wie der nächste an und ich konnte auch nicht mehr zwischen Wochentag und Wochenende unterscheiden. Jede Woche hatte ich neue Hoffnungen, was die Rückkehr ins Labor anging.
- August 2020 – Endlich konnten ein paar von uns wieder ins Labor zurück, allerdings mit einigen Einschränkungen: Mein alter Stammplatz im Labor war zu nah an einem Korridor daher mussten wir unsere Arbeitsplätze in ein Buchungssystem eintragen, was bedeutet das sich jeder oft von einem Platz zu einem anderen begeben muss. Die maximale Anzahl an Personen im Labor wurde auf die Hälfte reduziert, wichtige Einrichtungen wie die Autoklavierabteilungen und der Wareneingang wurden auf ein absolutes Minimum beschränkt und die Arbeitszeiten wurden stark eingeschränkt. Es hatte etwas sehr sonderbares zu einem leeren Campus zurückzukehren und man hatte das Gefühl ständig beobachtet zu werden, fast so als wäre man zwischen den Jahren auf der Arbeit.
- September 2020 - Damit wieder mehr Leute ins Labor zurückkehren konnten und uns gleichzeitig an die Maximalzahl in den Räumen halten konnten, mussten wir zu einem Schichtarbeitsystem wechseln. Das bedeutet entweder früh aufstehen oder spät am Tag zur Arbeit kommen und trotzdem nur sieben Stunden zur Verfügung zu haben. Dies scheint einen normalen 9-5 Arbeitstag widerzuspiegeln, jedoch passiert es nur zu oft das ein Experiment schief geht und man länger arbeiten muss als ursprünglich geplant. Daher war eine wesentlich detailliertere Tagesplanung sehr wichtig, was aber auch mehr Zeit in Anspruch nimmt. Das System wird wohl noch eine Zeit lang so bleiben also muss ich mich sehr schnell daran gewöhnen.
- September 2020 – An diesem Tag schreibe ich diesen Blogeintrag. Neue lokale Einschränkungen wurden letzte Nacht für Leeds angekündigt da die Zahlen wieder drastisch steigen, höher sogar als im April/Mai. Ich befürchte das diese Einschränkungen eine ganze Weile andauern werden. Dieses Mal zumindest kann ich weiterarbeiten, allerdings werden die sozialen Einschränkungen meine mentale Gesundheit auf jeden Fall verschlechtern. Ich hoffe zumindest das ich an Weihnachten nach Deutschland zurückkehren kann ohne das ich viel Zeit durch zweiwöchige Quarantänen verlieren werde.